Heute beschließt der Rat der Stadt Essen über die Beschlussvorlage des Haupt- und Finanzausschusses von Essen zur Verdopplung der Kreditaufnahme in Schweizer Franken und eine Änderung des §8 der Haushaltssatzung, der urspünglich eine Schuldengrenze von 300 Millionen EUR vorgesehen hatte:
“Fremdwährungskredite dürfen nur in Schweizer Franken bis zu einem Aufnahmegegenwert von 300 Mio. Euro aufgenommen werden.”
Wenn wir die Beschlussvorlage richtig verstehen, dann sollen Kredite in Schweizer Franken günstiger zu bekommen sein als vergleichbare Kredite in Euro. Daher hat der Rat der Stadt Essen 2002 beschlossen, Kredite in Schweizer Franken aufzunehmen.
Das Risiko liegt darin, dass die Stadt Essen keine Schweizer Franken benötigt, sondern alles in Euro abwickelt. Die Kredite sind allerdings in Schweizer Franken zu bezahlen. Je nach Wechselkurs, steigt oder fällt der Rückzahlungswert der Kredite. Das hat zur Folge, dass die Zinsersparnis, die man sich von den Schweizer Krediten verspricht, mit dem potentiellen Wechselkursverlust gegenrechnet werden muss. Solche Geschäfte werden üblicherweise als Währungsspekulation bezeichnet.
Wenn wir die heute zu besprechende Beschlussvorlage richtig verstehen, wurden seit 2002 ca. 30 Mio. Euro an Zinsen gespart. Unglücklicherweise hat sich der Wechselkurs im vergangenen Jahr zu unseren Ungunsten verändert. Dieser Verlust wird in der Beschlussvorlage mit rund 80 Mio. Euro bewertet.
Der Haupt- und Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussvorlage die Ausweitung der Kreditgrenze in Schweizer Franken und die Verdopplung der Kreditsumme in Schweizer Franken, um die Zinslast sowie die bereits durch diese Kredite angefallenen Verluste zu verringern. Dabei wird vorausgesetzt, dass sich der Wechselkurs nur zu unseren Gunsten verändern kann – zumindest bis zum Ende diesen Jahres. Der Ausschuss empfiehlt damit in erster Linie eine Wette auf einen steigenden Wechselkurs zum Schweizer Franken.
Eine genauere Betrachtung dieser Ereignisse trauen wir uns nicht zu, weil uns der Zugang zu den entscheidenden Details trotz persönlicher Nachfrage vorenthalten wurde. Nach kurzer Durchsicht der Beschlussvorlage haben wir folgende Fragen:
- Die beiden folgenden Zitate stehen im Widerspruch. Welcher von beiden ist nun richtig?
“Bis zum 31.12.2010 konnte so aus allen Schweizer Franken-Geschäften [...] ein Wechselkursgewinn in Höhe von 18,63 Mio. EUR erwirtschaftet werden.”
“Aufgrund des Kursrückgangs des Schweizer Franken zum 31.12.2010 [...] beträgt der Rückzahlungswert der Kredite zum Bilanzstichtag 362,2 Mio. EUR, was einer Höherbewertung der Verbindlichkeit von 80,6 Mio. EUR entspricht.”
- Handelt es sich bei folgender Schätzung um einen Tippfehler? Wir hoffen doch ja. Das entspräche einem Wechselkurs von 0,74 und einem Verlust 326 Mio für die Stadt Essen:
“Der Kurs, der der Kaufkraftparität zum EUR entspricht, läge bei rund 1,35 EUR je CHF.”
Anmerkungen der Piraten Essen zur Beschlussvorlage
Der Wechselkurs am Bilanzstichtag entscheidet, ob wir (Nachtrag Fehlerkorrektur) am Jahresende überschuldet sein werden, nicht die Hoffnung auf einen für uns günstigen Wechselkurs oder die prinzipielle Möglichkeit der “Prolongation”, also Fortführung unserer städtischen Kreditaufnahme.
Wir sollten keine Banker spielen! Wenn die Banker so ein Geschäft schon nicht absichern wollen, warum sollte sich die Stadt Essen darauf einlassen?
Es geht nicht um eine Investition, die im schlechtesten Falle wertlos wird. Die Stadt Essen spekuliert mit Fremdwährungskrediten, bei denen die Schuldenlast von einem nicht vorhersagbaren Wechselkurs abhängig ist.****Schlimmstenfalls, so die Beschlussvorlage, entwickle sich der Wechselkurs in Richtung 1,20 Franken. Das halten wir für eine optimistische Annahme: Der Jahrestiefstwert lag bei 1,03 Franken, was einen Verlust von 155 Millionen EUR für die Stadt Essen bedeuten würde.
Uns drängt sich das Bild eines Spielsüchtigen auf. Bei Verlusten erhöht er den Einsatz immer weiter, um die Verluste abzufangen. Das mag für den einzelnen Zocker akzeptabel sein, für die Stadt Essen mit Verpflichtungen gegenüber uns Einwohnern halten wie**wir (Nachtrag Fehlerkorrektur) **das für unverantwortlich!
Wir Piraten in Essen fordern daher:
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Wir erwarten, dass die Entscheidung über die Beschlussvorlage 1559-2011-2 vertagt wird.
Das Thema der Erhöhung der Kreditaufnahme wurde öffentlich unzureichend diskutiert. -
Wir erwarten eine fehlerfreie Version der Beschlussvorlage zur nächsten Ratssitzung.
Die Beschlussvorlage ist nicht frei von Fehlern. Insbesondere in sensiblen Themen, wie der Einschätzung von Wechselkursen und dem Wiedergeben von Gewinnen erwarten wir Genauigkeit. -
Wir erwarten, dass Risiken klar beziffert und benannt werden.
Die Art der Risiken und die Auswirkungen von Entwicklungen werden in der Beschlussvorlage nicht widergegeben. Wir sind der Meinung, dass die Wette auf einen steigenden Kurs des Schweizer Frankens viel zu optimistisch beschrieben wird. Der aktuelle Verlust wird in der Beschlussvorlage nicht deutlich und sogar widersprüchlich beziffert. Aktuell liegt der Tageskurs 1 EUR zu 1,22 Schweizer Franken. Das bedeutet für die Stadt Essen eine Rückzahlung in Höhe von 368,9 Millionen EUR, also ein Verlust von 87,3 Millionen EUR. -
Wir fordern volle Transparenz und erwarten, dass alle Unterlagen bezüglich des Geschäftes offengelegt werden.
Die Risiken dieser Spekulationen tragen alle Essener. Welche Risiken genau auf uns zukommen sollen stehen in geheimen Verträgen, die nur Ratsmitgliedern auf Anforderung zugänglich sind. Das ist ein nicht akzeptabler Zustand im Zusammenhang mit diesem hochriskanten Geschäft.
Update: Der Rat der Stadt Essen hat den Antrag abgelehnt.