Mit dem überraschend gut recherchierten WAZ-Artikel von Jennifer Schumacher in der Printausgabe und auf derwesten.de ist die öffentliche Diskussion über ein freies WLAN in Essen jetzt richtig ins Rollen gebracht worden.
Der Rat der Stadt Essen hat schon 2011 die Verwaltung mit der Prüfung verschiedener Möglichkeiten für ein kostenfreies WLAN zumindest in der Innenstadt beauftragt. In den letzten vier Jahren hat sich in Essen nichts getan, während andere NRW-Städte bereits mit großflächigen Installationen online sind. Im Oktober letzten Jahres hatte die neue Fraktion der Partei-Piraten die Initiative ergriffen und im Konsens mit allen Ratsfraktionen die Prüfung eines Bürger-WLANs wie z.B. Freifunk in Auftrag gegeben:
Die Verwaltung wird um Prüfung gebeten, ob und unter welchen Voraussetzungen ein freies und kostenloses WLAN-Netz in Essen durch die Unterstützung von Organisationen zur Verbreitung freier Netzwerktechnologien, wie beispielsweise dem Freifunk Rheinland e.V., realisiert werden kann.
Hierbei ist auch darzustellen, welche Möglichkeiten durch das Bereitstellen von Standorten (z.B. an, in oder auf öffentlichen Gebäuden oder Laternenmasten) bei der fachgerechten Installation von WLAN-Repeatern bestehen.
Für die Piraten Essen stellt sich jetzt die Frage, welches Wort in ”Organisationen zur Verbreitung freier Netzwerktechnologien” die Stadtverwaltung nicht verstanden hat und warum sie ihre Zeit damit verschwendet, sich von “Unitymedia, Telekom und World Communication” irgendwelche Konzepte vorstellen zu lassen statt endlich Standorte für Freifunk-Antennen zu finden. Unter dem Artikel der WAZ fragt ruhry folgerichtig: “liegt es etwa daran, dass Frei Funk keine Aufsichtsratsposten zu vergeben hat?”
Tatsächlich haben die meisten Kommentatoren auf derwesten.de, Facebook und Twitter die beiden wesentlichen Unterschiede zwischen Freifunk und Firmen wie Unitymedia glasklar erkannt: Freifunk ist für die Stadt Essen nicht nur kostenfrei, sondern wird ausnahmslos ohne Anmeldung und anonym überall dort angeboten, wo nette Menschen einen Teil ihres Internetanschlusses spenden.
Firmen wie Unitymedia müssen im Gegensatz dazu entweder mit der WLAN- Benutzung Geld verdienen und uns eine Anmeldung aufzwingen, um unsere Daten abzugreifen und meistbietend zu verkaufen. Das bedeutet auch, dass deren WLAN auf die Innenstadt und andere kleine Hotspots beschränkt sein wird, wo sehr viele Menschen sind, deren Daten sich profitabel verkaufen lassen. Wir würden also für einen im Gegensatz zu Freifunk schlechteren WLAN-Service unsere persönlichen Daten abgeben, Geld bezahlen und uns durch noch mehr Werbung ablenken lassen. Dass sich die Verwaltung nach dem NSA-Skandal überhaupt noch mit solchen Angeboten aus der Bronzezeit des Internet beschäftigt, lässt das Zitat der Verwaltung, ”Datenschutzkriterien müssten bei der Auswahl berücksichtigt werden” wie die Drohung wirken, dass die angefragten Firmen vor einem Verzicht auf unsere wertvollen Daten geschützt werden müssten.
Warum also gibt unsere Stadtverwaltung der Datenkraken-Variante so eindeutig den Vorzug, obwohl sie einen völlig anderen Prüfauftrag bekommen hat und sich mit ihrem Verhalten scheinbar untreu gegenüber dem klaren Auftrag des Rats verhält?
Die Antwort auf diese Frage liegt nahe, wenn man sich die Tagesordnung der Ratssitzung vom Oktober 2014 ganz genau anschaut: Im öffentlichen Teil steht der WLAN-Antrag der Partei-Piraten mit Unterstützung aller Fraktionen (TOP 24). Im geheimen Teil steht in TOP 40 die “Neuausschreibung Außenwerbung, hier: Beauftragung eines externen Beraters”. Die Außenwerbung wurde früher schon einmal unter dem Begriff “Stadtmöblierung” mit WLAN in Verbindung gebracht (“Düsseldorfer Modell”): Werbefirmen sollten WLAN-Zugangspunkte in ihre Werbetafeln einbauen und dafür einen Rabatt auf die Standflächen eingeräumt bekommen. Der TOP 40 wurde in einem gemeinsamen Antrag aller Ratsfraktionen eingebracht, diesmal aber mit Ausnahme der Partei-Piraten-Fraktion. Ohne Geheimnisse auszuplaudern kann man aus dem Verhalten der Verwaltung schließen, dass der Rat der Stadt Essen in nur einer Sitzung der Verwaltung zwei völlig unterschiedliche Aufträge zur Einrichtung eines kostenfreien WLAN erteilt hat. Mit Sicherheit würden die Partei-Piraten alle Datenkraken-Varianten ablehnen und haben sich an diesem Antrag deswegen nicht beteiligt.
Obwohl das Bürgerprojekt “Freifunk” überaus erfolgreich mit über 250 installierten WLAN-Zugangspunkten allein in Essen bereits seit einem über Jahr viele Gäste unserer Stadt, unsere neue Nachbarn und einkommensschwachen Einwohner mit anonymen, kostenfreiem WLAN versorgt, haben sich alle Ratsfraktionen außer den Partei-Piraten auf diese offensichtliche und peinliche Heimlichtuerei eingelassen und die Verwaltung mit der Planung eines Konkurrenz-WLAN beauftragt. Logisch, eine Bürgerbeteiligung abseits des von oben verordneten Strategieprozess “Essen.2030″ kann der Rat nicht durchgehen lassen, obwohl das mit der Bürgerbeteiligung bei Essen.2030 offensichtlich nicht mehr so sehr im Fokus steht. Soviel auch zur ”Transparenz”, mit der sich andere Parteien bei genauerem Hinsehen maximal bis zur Ausgabenobergrenze von 10m Krötenzaun rühmen dürften.
Es musste tatsächlich erst ein leicht kritischer WAZ-Artikel geschrieben werden, um die anderen Ratsmitglieder aufzuwecken. Jetzt endlich bekommen wir viele neugierige Fragen aus anderen Parteien und interessierten Bürgern. Eine dieser Anfragen sticht durch ihre Klarheit deutlich heraus, weswegen sie sich beispielhaft zur Antwort eignet:
Wie sicher ist der von Ihnen propagierte „Freifunk“? Welcher Missbrauch ist damit möglich?
Freifunk ist ein diskriminierungsfreier Zugang zum Internet. Das bedeutet, dass man über Freifunk die gleichen Tätigkeiten machen kann wie am eigenen DSL-Anschluss zu Hause. Man sollte zu Hause genauso wie im Freifunk seine Kommunikation verschlüsseln. Freifunk macht es noch etwas bequemer, das Internet anonym zu nutzen, weil man auf Tor oder Freenet verzichten kann.
Die Frage nach dem Missbrauch wird immer wieder gestellt, ob in Zusammenhang mit sogenanntem Terrorismus (was auch immer damit im jeweiligen Einzelfall gemeint ist), Neofaschismus oder Menschen, die blind für ihre Umwelt mit dem Smartphone vor der Nase durch die Stadt laufen. Piraten sind der Meinung, dass Technik weder der Auslöser für individuelles Fehlverhalten ist noch den einzigen Weg dahin ermöglicht. Wem das Verhalten seiner Mitmenschen nicht gefällt, der sollte das mit sich oder seinen Mitmenschen klären, aber nicht dem Internet die Schuld dafür geben.
Die Unterstützung der vielen Freifunk-Projekte in Deutschland wurde der Piratenpartei Deutschland schon von ihren Gründern im Jahr 2006 durch die Präambel ihres Grundsatzprogramms in die Wiege gelegt:
Die Globalisierung des Wissens und der Kultur der Menschheit durch Digitalisierung und Vernetzung stellt deren bisherige rechtliche, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen ausnahmslos auf den Prüfstand. Nicht zuletzt die falschen Antworten auf diese Herausforderung leisten einer entstehenden totalen und totalitären, globalen Überwachungsgesellschaft Vorschub. Die Angst vor internationalem Terrorismus lässt Sicherheit vor Freiheit als wichtigstes Gut erscheinen – und viele in der Verteidigung der Freiheit fälschlicherweise verstummen.
Informationelle Selbstbestimmung, freier Zugang zu Wissen und Kultur und die Wahrung der Privatsphäre sind die Grundpfeiler der zukünftigen Informationsgesellschaft. Nur auf ihrer Basis kann eine demokratische, sozial gerechte, freiheitlich selbstbestimmte, globale Ordnung entstehen.
Die Piratenpartei versteht sich daher als Teil einer weltweiten Bewegung, die diese Ordnung zum Vorteil aller mitgestalten will.
Piraten haben daher weniger Angst vor dem eigentlichen Missbrauch als vor Menschen, die alles Neue und jede einzelne Freiheit mit dem Argument des Missbrauchs kritisieren und einschränken möchten. Für Piraten steht aber nicht die Freiheit auf dem Prüfstand, sondern die Einschränkung von Freiheit, insbesondere wenn Neuländer und Internetausdrucker über unsere Kommunikationsmittel entscheiden wollen, von denen sie aber nicht die geringste Ahnung haben.
Freifunk-Router gibts im Internet oder bei Freifunk oder im Fraktionsbüro der Partei-Piraten. Wir wünschen Euch genug Bandbreite für alles, was Ihr tut und möchten Euch als Schlusswort den Kommentar von osis nicht vorenthalten:
Dann werde ich mal zusehen, dass ich nur aus Protest in den nächsten Wochen einen weiteren Knoten im Stadtkern aufstelle…