Die Telekom hat gestern ihren ersten “Transparenzbericht” veröffentlicht, mit dem die Maßlosigkeit von Überwachung normaler Bürger durch unsere Strafverfolgungsbehörden überdeutlich wird.
Allein wegen UrhG §101 (überwiegend Filesharing) hat die Telekom über die Nutzer von 946.641 IP-Adressen Auskunft gegeben. Die Telekom hatte 2013 ca. 12,4 Mio DSL-Kunden, von denen satte 8% in Verdacht geraten sind, einen Urheberrechtsverstoß begangen zu haben.
Der Marktanteil der Telekom für DSL lag 2013 bei 43% unter den größten 6 Internetprovidern. Demnach wurden letztes Jahr hochgerechnet mehr als 2 Millionen DSL-Kunden wegen Filesharings abgemahnt. Nur zum Vergleich: Die Polizeiliche Kriminalstatistik nennt 2012 nur vergleichsweise popelige 1,4 Mio. Fälle von Straßenkriminalität (darin sind sogar bundesweit alle Sachbeschädigungen durch Graffiti enthalten).
Wir haben in Deutschland 40 Millionen Haushalte. Das Gesetzt trat am 1.9.2008 in Kraft. Angenommen, die Anzahl der Auskunftsersuchen wäre konstant geblieben und die Leute wären nicht so blöd, sich zweimal erwischen zu lassen, dann wären in den letzten 5 Jahren ein Viertel aller Haushalte bereits einmal abgemahnt worden. Wir sind offensichtlich ein Volk von Verbrechern. Oder das Gesetz geht völlig an der Realität normaler Bürger vorbei. Zumindest steht die praktische Umsetzung des Urheberschutzgesetzes in keinem Verhältnis mehr zu unseren Grundgesetz §10, der das Brief- und Fernmeldegeheimnis für so unverletzlich erklärt, dass nur Ausnahmen per Gesetz erlaubt sind. Die Überwachungsstatistik zeigt, dass der Bruch des Fernmeldegeheimnis die Regel ist und man diesem nur in Ausnahmefällen entgeht, denn rein statistisch wird es nach weiteren 5 Jahren jeden zweiten Haushalt mindestens einmal erwischt haben.
Von diesem unverhältnismäßigen Eingriff in unsere Grundrechte können selbst die ungeschickten Anwälte profitieren: Sie müssen sich nur die richtige Software kaufen, die ganz offensichtlich reihenweise angebliche Urheberrechtsverletzungen ausspuckt. Eine echte Prüfung kritisierter Gesetzesverstöße findet nicht statt. Schon auf Basis der Fallzahlen muss man als vernünftiger Mensch am Wahrheitsgehalt der erhobenen “Beweise” zweifeln. Hinzu kommt, dass man den Vorwurf einer Urheberrechtsverletzung per Filesharing nicht einmal in absurden Einzelfällen widerlegen kann.
Die durchschnittliche realisierte Abmahngebühr dürfte irgendwo zwischen 150 EUR und 800 EUR liegen, je nach Geschick des Anwalts. Der Abgemahnte sollte sich auf jedem Fall anwaltlich vertreten lassen (!), was durchschnittlich noch mal mindestens 100 EUR kosten wird. Insgesamt kann man selbst bei
konservativster Schätzung davon ausgehen, dass seit Inkrafttreten der Änderung von UrhG §101 mindestens 3 Milliarden Euro an Altwaltshonoraren geflossen ist.
Das Urheberschutzgesetz soll eigentlich Urheber vor Verdienstausfällen durch illegale, gewerbsmäßige Vervielfältigung ihrer Werke schützen. Man kann auch bei Kosten- Nutzen- Vergleich die Verhältnismäßigkeit des Gesetzes in Zweifel ziehen, wenn wir die 3 Milliarden Anwaltshonorare mit den tatsächlichen Umsätzen der gesetzlich “geschützten” Urheber und Verlage vergleichen:
Der Umsatz der gesamten Musikindustrie in Deutschland betrug 2010 laut dem Bundesverband Musikindustrie e.V. (BVMI) 1,5 Milliaden Euro, die Filmwirtschaft meldet 1,3 Milliarden Umsatz für 2012. Und diese Zahlen enthalten selbstverständlich bereits den Schadensersatz für entgangene Gewinne aus Abmahnungen nach UrhG §101. Da nur ein kleiner Umsatzbruchteil bei den eigentlichen Urhebern ankommt, schützt das Urheberschutzgesetz in der Praxis nicht die Urheber, sondern Rechtsanwälte.
Richtig entsetzt bin ich aber darüber, dass die Telekom auf richterliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung Auskunft über 436.331 Verkehrsdatensätze erteilen musste. Dafür muss man in Verdacht geraten sein, gegen eine schwere Straftat nach StPO §100a verstoßen zu haben: Nach obiger Rechnung wohnen also in 4% der bundesdeutschen Haushalte Menschen, die des Mordes, Hochverrats, Raub, Erpressung, Hehlerei, Schleusung, Kriegsverbrechen oder Ähnlichem verdächtigt werden. Die Frage, wofür wir noch eine wie auch immer ausgestaltete Vorratsdatenspeicherung brauchen hat sich damit erledigt. Dafür muss sich unsere Exekutive und Judikative meiner Meinung nach einer ganzen Reihe neuer Fragen stellen lassen.
Aber wer wird diese Fragen endlich einmal stellen? Ein kurzer Rundumblick über alle wichtigen Zeitungs- und Newsportale enttäuscht: Unsere Presse interessiert sich nicht dafür, dass jährlich ein erheblicher Teil unserer Gesamtbevölkerung durch unverhältnismäßige und damit grundgesetzwidrige Überwachung kriminalisiert wird.
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