Ganz offensichtlich sind die Transparenz-Umdeutungsbemühungen der SPD bei der WAZ angekommen. Diese Einleitung des Artikels zu unserer letzten Kreismitgliederversammlung am 10.11.2012 halten wir für irreführend:
“Geheime Wahlen statt Transparenz, Stimmzettel statt Online-Voting aller Mitglieder – die Vorgehensweise der Essener Piraten entspricht so gar nicht ihren postulierten Zielen.”
Wir kennen unsere Ziele ziemlich genau und sind daher vollständig anderer Meinung. Für uns bedeutet Transparenz nicht den Bruch des Wahlgeheimnisses, sondern die Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungen.
Die Nebeneinkünfte von Peer Steinbrück eignen sich beispielhaft, um unsere Position anhand unserer plakativen Forderung “Gläserner Staat statt gläserner Bürger” zu erklären. Herr Steinbrück reklamiert für sich bzw. für seine Nebeneinkünfte den Schutz seiner Privatsphäre:
“Ich glaube, dass eine gewisse Privatheit gelten muss. Ich glaube, dass es Transparenz nur in Diktaturen gibt…”
Damit verkehrt er unsere Forderung nach einem transparenten Staat ins genaue Gegenteil. Ihm steht insbesondere als Politiker und damit Staatsbediensteter kein besonderer Schutz vor Veröffentlichung seiner Einkünfte zu. Unserer Meinung nach ist die Grenze seiner Privatsphäre als Bürger überschritten, wenn Herr Steinbrück in seiner Rolle als Mandatsträger in seinen politische Entscheidungen durch unverhältnismäßig hohe Nebeneinkünfte beeinflusst werden könnte. Ob sich beim Verhältnis zwischen den von ihm zugegebenen Nebeneinkünften in Höhe von 1.250.000 Euro(*) zu seinen Abgeordnetenbezügen von ca. 280.000 Euro in den letzten drei Jahren eine politische Beeinflussung beim Wähler aufdrängt ist dessen individuelle Entscheidung. Um sich diese Frage aber überhaupt zu stellen, muss dieses Verhältnis seiner Einkünfte aber erst einmal öffentlich zugänglich gemacht werden. Diese Öffentlichkeit ist Teil der Transparenz, wie wir sie verstehen. Herr Steinbrück hätte die Höhe seiner Einkünfte nach geltendem Recht überwiegend für sich behalten dürfen, hätte aber dann den öffentlichen und nicht von ihm widerlegbaren Vorwurf der Abgeordnetenbestechung in Kauf nehmen müssen.
Ganz im Gegensatz zu Steinbrücks Nebeneinkünften ist das Geheimnis von individuellen Wahlentscheidungen bei direkten Personenwahlen für den Fortbestand unserer Demokratie sehr wichtig, weil sich jeder einzelne Wähler nur im Geheimen wirklich unabhängig von seiner Beziehung zu den sonst Anwesenden für einen der Kandidaten entscheiden kann. Die Piraten führen alle Personenwahlen grundsätzlich unmittelbar, frei, gleich, geheim und nachvollziehbar auf Papier durch. Wir verzichten bei Personenwahlen bewusst auf ein Delegiertensystem und setzen auf die unmittelbare Wahl, so dass deren Nachvollziehbarkeit jederzeit gewährleistet wird.
Der Grund für die geheime Wahl liegt in den Zugzwängen, denen ein Mitglied unterworfen werden sein kann. Dies kann z.B. sein, wenn der Amtsanwärter sein Vorgesetzter im Beruf ist oder schon einmal Vorstandswahlen in einem Verein miterlebt hat; hier wird oft per Handzeichen abgestimmt. Man stelle sich einmal vor, man möchte einen neuen Zaun in seinem Garten aufbauen und der Nachbar stünde zur Wahl. Die Wahlen wären verfälscht und damit undemokratisch.
Das Problem durch diese Art der Wahlmanipulation hat auch der Gesetzgeber erkannt und entsprechend regelmentiert. Neben der Wahl der Volksvertreter, die laut §20 Grundgesetz in geheimer Wahl stattfinden muss, ist laut §15(2) Parteiengesetz auch die Wahl der Parteiämter in demokratischen Parteien in geheimer Wahl zu besetzen. Dieser wichtigen und richtigen Regelung sind wir natürlich gefolgt. Die Stärkung und Wahrung unserer Demokratie ist nämlich eines der Ziele, die wir Piraten uns auf die Fahnen geschrieben haben.
Jeder Pirat ist bei uns in seiner Wahlentscheidung frei und jede Stimme zählt gleich. Wir führen sogar eine wohnortbezogene Akkreditierung aller Teilnehmer durch, um jede Manipulation durch doppelte Stimmabgabe auszuschließen. Zur Wahlakkreditierung ist wie schon bei vorherigen Kreismitgliederversammlungen extra ein Mitglied des Landesvorstands NRW angereist.
Mit dem im Artikel erwähnten “Online-Voting” (wir nennen es “Liquid Feedback“) bereiten wir unsere politischen Positionen vor. Liquid Feedback basiert auf Delegationen, damit jeder Pirat einen Themenspezialisten mit der Stimmabgabe in seinem Namen beauftragen kann, falls er nicht selbst abstimmen will. Diese Themenwahlen finden online statt und müssen aus Gründen der Nachvollziehbarkeit vollständig (jede Stimme und jede Delegation wegen Datenschutz “nur” parteiintern) veröffentlicht werden. Die Wahlergebnisse aus Liquid Feedback für uns nicht verbindlich, sondern eher so etwas wie eine Meinungsumfrage. Wir benutzen Liquid Feedback niemals für Personenwahlen: Wir lehnen Wahlcomputer (egal ob online oder Blackbox) grundsätzlich ab, weil sie keinen der Grundsätze einer demokratische Wahl mit Sicherheit erfüllen.
Unsere Personenwahlen wirken auf Menschen, die regelmäßig interne Wahlen klassischer Parteien besuchen, vielleicht unerwartet formell. Bei unseren Wahlen halten wir uns aber schlicht an Grund- und Parteiengesetz. Ein berichtenswerter Skandal wären offene Wahlen, in denen entspannt per Handzeichen die Vorstandsposten verteilt werden.
(*) Nur veröffentlichte Vortragshonorare, laut FAS belaufen sich die Nebeneinkünfte mit Buchhonoraren auf insgesamt 2.000.000 Euro.